Nils Röller: Magnetismus – Eine Geschichte der Orientierung. München: Fink, 2010

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Zusammenfassung

Magnetische Kräfte werden wahrgenommen mit Hilfe von Kompassen, die Orientierung in Raum, Zeit und in der Psyche bieten. Diese Orientierung erfährt radikale Veränderungen in Wechselwirkung mit der Verfeinerung der Instrumente und der Phänomene, die sie ermitteln. In elf Kapitel erzählt dieses Buch die Geschichte des Magnetismus mit dem Fokus auf seiner Medialität.

Aus der Einleitung: Das Zittern der Nadel

Der Verkäufer des Telefons erklärt es mit dem Bermudadreieck. Dort versagen die Instrumente, weil sie von einem starken elektromagnetischen Feld irritiert werden. Ähnlich soll es bei dem günstigen Telefon mit Schnur sein. Es liegt auf dem Bücherregal neben einem zierlichen Kompass. Sobald ein Anruf kommt, sendet das Telefon schwache elektromagnetische Wellen aus. Sie sind immerhin so stark, dass sie die Kompassnadel heftig ausschlagen lassen.
Wenn jemand anruft, dann beginnt die Nadel zu zittern und sich im Kreis zu bewegen, bis sie eine neue Stellung findet. Die rot lackierte Spitze der Nadel zeigt nicht mehr nach Norden, sondern nach Westen. Die Bewegung setzt wieder ein, wenn das Telefonat beendet ist. Die Nadel zittert erneut und kehrt dann nach heftigem Kreisen zurück in die Nordrichtung. Die Erklärung des Verkäufers verstärkt die Faszination, die diese Beobachtung auslöst. Beim Telefonieren regt sich eine Kraft, die gewöhnlich nicht wahrnehmbar ist. Zufällig liegt der dekorative Kompass in der Nähe des Telefons und lässt verborgene Kräfte wahrnehmbar werden.
Für den Magnetismus besitzen Menschen kein Organ. Wir können ihn mit unseren Körpern nicht berühren, schmecken, hören oder sehen. Wir nehmen ihn nur in besonderen Situationen wahr, dann, wenn wir Hilfsmittel zur Verfügung haben. Der Magnetismus ist deshalb eng mit den Mitteln verbunden, die die Menschheit in ihrer Geschichte entwickelt hat, um sich in Raum und Zeit zu orientieren. Ähnlich wie Schrift und Zahl betreffen magnetische Erfahrungen die Entwicklung von Instrumenten, mit denen Menschen ihre biologische Ausstattung erweitern. Sie gestalten das Verhältnis des Menschen zur Natur ebenso wie das Verhältnis zum Jenseits, aber auch die Beziehungen der Menschen untereinander. Das ist ein Grund dafür, dass Filme wie Fluch der Karibik und Der Goldene Kompass derzeit so erfolgreich den Kompass thematisieren können, denn dieses Instrument verspricht Orientierung in den Landschaften der menschlichen Psyche…
Wie jede Geschichte benötigt auch die Geschichte magnetischer Erfahrungen einen Anfang. Wann aber zum ersten Mal magnetische Phänomene beobachtet worden sind, ist abhängig von den Mitteilungen solcher Beobachtungen. Handelt es sich um schriftlich überlieferte Mitteilungen, entsteht eine Differenz zwischen der sprachlichen Form und dem beobachteten Ereignis. Neben schriftlichen Dokumenten können Artefakte einen Anfang setzen, zum Beispiel besonders geschliffene Nadeln oder Spielfiguren, die Eigenschaften haben, die heute „magnetisch“ genannt werden. Doch Fundstücke, die magnetische Erfahrungen mitteilen sind rar, da Eisen und magnetisches Material verwittert und mit der Zeit verfällt. Lange Zeit sind die Instrumente, mit denen Magnetismus wahrnehmbar wurde, aus flüchtigen, nicht haltbaren Materialien hergestellt worden …

Inhaltsverzeichnis

Magnetismus: Eine Geschichte der Orientierung

I Einleitung: Das Zittern der Nadel

II Antike: Magnes

III China: Im Reich der Zeiger

IV Mittelalter: Empfang des Findelkinds

V Um 1500: Abweichung und Neigung

VI Um 1600: Magnetische Wissenschaft

VII Barock: Tarantelbisse und Wirbel

VIII Aufklärung: Im Denken orientieren

IX 19. Jahrhundert: Übertragung und Vermittlung

X 20. Jahrhundert: Die Nadel im Inneren

XI Piratenkompass: Revolution der Augen und Ohren

Nils Röller: Magnetismus – Eine Geschichte der Orientierung. München: Fink, 2010.

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