Laurent Stalder, Georg Vrachliotis (Hg.), Fritz Haller Architekt und Forscher

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Mit einem Beitrag von Nils Röller: „Architekturen der Bodenlosigkeit: Haller und Flusser im Dialog“, in: Laurent Stalder, Georg Vrachliotis (Hg.), Fritz Haller Architekt und Forscher (Zürich: gta-Verlag, 2016).

Textauszug:

Die Rolle des Arztes, der abwägt, ob er einen Menschen als Patienten oder als agierendes Subjekt behandeln soll, wird Vilém Flusser für sich in Anspruch genommen haben, während er Fritz Haller die Rolle eines Brückenbaumeisters, der Sachzwängen unterworfen ist, reserviert haben dürfte. Die Voraussetzungen für einen Dialog zwischen dem Architekten, Hochschullehrer und Forscher Haller und dem freischaffenden essayistisch formulierenden Philosophen Flusser sind aus lebensgeschichtlichen, kulturellen und epistemischen Gründen denkbar schlecht, wenn unter einem Dialog ein balancierter Austausch verstanden wird, in dem Spielregeln eingehalten werden, die zu einem Ergebnis führen, in dem sich die Beteiligten ausgewogen berücksichtigt finden. Diese negative Einschätzung lässt sich nach der Lektüre von Flussers Autobiografie Bodenlos treffen. Es spricht für den Schweizer Fritz Haller, dass er sich auf einen Theoretiker einliess, der einen asymmetrischen Austausch in der Informationsgesellschaft für angemessen hält. Ebenso zeigt es sich, dass die Umstände für ihre Begegnung günstig und produktiv waren.

Beide wurden als Mitteleuropäer in den 1920er Jahren geboren, Flusser 1920 in Prag, Haller 1924 in Solothurn. Auf der Flucht vor den Nationalsozialisten musste der Jude Flusser sein Philosophiestudium an der Universität abbrechen, sich in London als Texter über Wasser halten und dann in Brasilien als Angestellter seines Schwiegervaters seine Existenz zwiegespalten sichern: Tagsüber verdiente er als Direktor der Radio- und Transformatorenfabrik Stabivolt den Lebensunterhalt, nachts ging er philosophischen Studien nach. In den sechziger Jahren entscheidet er sich, in São Paulo als Schriftsteller tätig zu werden, er doziert an Hochschulen und ist an der Entwicklung von Curricula beteiligt, ebenso an der Konzeption und Recherche für die Biennale von São Paulo. Letzteres wird zu einem Vehikel, das Flusser und seine Frau 1972 nutzen, um Brasilien zu verlassen. 1991 stirbt Flusser am 27. November bei der Rückkehr von einem Vortrag in Prag. Damit endet abrupt eine Phase, in der er Kulturpolitiker fasziniert und als Vortragender Säle gefüllt hat.