Ian Anüll – Rien ne va plus

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Zurich – 5 February 2010 – 5 April 2010

Ian Anüll – Rien ne va plus

Ian Anüll: Made in China, 2009

Ian Anüll: Made in China, 2009

Ink on fabric, 4 parts, 64 x 64 cm each

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Der weit gereiste Künstler Ian Anüll (*1948) reagiert mit Leichtigkeit und wachem Verstand auf materielle und geistige Fundstücke. Mit den für ihn typischen Umdrehungen, Rückführungen und Bedeutungswechseln hinterfragt der Künstler festgefügte Werte unserer Gesellschaft. Er hat für seine Ausstellung im Helmhaus Zürich Videos, Fotografien, Installationen, Objekte, Collagen, Malereien und Schallplatten aus den letzten 25 Jahren zusammengestellt und neu komponiert. Zu sehen sind auch neue und ältere, noch nie gezeigte Arbeiten.

Den Empfangsbereich im 1. Stock hat Ian Anüll zum Schallplattenshop “Ultimate Records” umfunktioniert und konfrontiert damit zunächst mit einem ebenso persönlichen wie leidenschaftlichen Aspekt seiner Arbeit. Anüll zeigt sich in dieser Ladeninstallation als Musikproduzent, als Gestalter autonomer Plattencover und passionierter Schallplatten-Sammler.

Authentisch chinesischen Ursprungs ist die Serie “Made in China”, die im ersten Ausstellungsraum zu sehen ist. Hinter einem transparenten Raumteiler, das unter dem gewaltigen Schriftzug CHANEL chinesische Soldaten beim Appell zeigt, befinden wir uns im Land der Bildkopisten und Produktpiraten. Im Grossformat repräsentiert das aus Geldscheinen isolierte Mao-Portrait das heutige kapitalistische China, das Anüll im Video spielerisch umgarnt: Rund 70 Mal liess er sich – im Tausch gegen Schokolade made in Switzerland – in Peking von Leuten auf der Strasse jeweils ein Stück chinesischer Leinwand mit dem Schriftzug “Made in China” versehen, um so eine Bildserie zu erhalten, die nichts weiter ist als ihre eigene Herkunftsdefinition.

Ian Anüll: From the Series "1000 M", 1994/2009

Ian Anüll: From the Series “1000 M”, 1994/2009

Mixed media

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Im grossen, dreigeteilten Saal zeigt Anüll Arbeiten zu den Themen Geld, Kopie und aus der Serie “1000 M”. All diesen Themen ist zunächst gemeinsam, dass Anüll sich schon lange intensiv mit ihnen beschäftigt. Die zwölf wie aus Marmor scheinenden Säulenstümpfe der ältesten in der Ausstellung zu sehenden Arbeit aus dem Jahr 1983/1984 mit dem Titel “Change” stehen für das Ende ihrer Geldexistenz und die Umkehrung von Wertgewinnung. Die zwei unter dem Raumteiler platzierten Arne Jacobsen-Stühle funktionieren nicht einfach als Designklassiker – sie sind tatsächlich aus der Schweizerischen Nationalbank und werden hier zu scheinbaren Kultobjekten, auch indem Anüll ein fehlendes Furnierstück mit Gold hat ausbessern lassen. Im Mittelteil des Raumes zeigt sich Anülls doppeldeutiger Umgang mit kyrillischen Schriftzeichen und die Übertragung vorgefundener Farbimpulse in neue Bilder, jede Kopie ein Original – und umgekehrt. Ergänzend sind hier Arbeiten aus der Serie “Chocolate” (2008/2009) dem neusten Werk des Künstlers, “Take me to the Moon”, der zehnfachen Vergrösserung eines Kinderzimmerobjekts, gegenübergestellt. Eine interessante Wechselwirkung zeigt die Serie “1000 M”. Wofür steht ein einzelnes Zeichen? Wie universell ist eine mögliche Bedeutung? Welche Transformationen verträgt ein solches Zeichen, ohne seine Bedeutung zu verlieren? Die auf den Raumteiler produzierte Fotografie zeigt eine erste naheliegende Zuordnung:

Für das auf der documenta IX 1992 von Ilya Kabakov nachgebaute Toilettenhäuschen steht M für die dem männlichen Geschlecht zugedachte Hälfte einer Bedürfnisanstalt. Das gilt jedoch nicht für die Ms von Anülls Zeitschriftenarbeiten und die Ms der übermalten Zeitungsbilder. In der Schweiz steht ein M selbstredend für Migros. Es steht nicht für McDonalds und nicht für die französische Metro. Es steht je nach Gestaltung für Labels, die wir in der Schweiz nicht kennen.

Ian Anüll: Trademark, 2007

Ian Anüll: Trademark, 2007

Acrylic on fabric, 39 x 38 cm

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Eine weitere zusammengehörige Gruppe bilden im kleinen Ausstellungssaal jene Arbeiten, die unter dem Begriff Zeitbilder zusammenfasst sind. Mit subtilen Eingriffen oder kleinen Verschiebungen thematisiert Anüll hier Zeitsprünge um teilweise viele Jahrzehnte und visualisiert damit das Vergehen von Zeit. Dem gefundenen Ölbild eines Apfelbaumes bei Weinstegen fügt Anüll exakt 50 Jahre später auf ganz eigene Art einen zweiten hinzu. “Deutschland 07”, eine Arbeit, welche die möglichen sechs verschiedenen Kombinationen von schwarz-rot-gold als Fahnensammlung auf Zeitungspapier zeigt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung der verwendeten Berliner Zeitungen als Überwindung von zwei Jahrzehnten, in denen sich in Berlin so ziemlich alles geändert hat.

Im oberen Ausstellungsgeschoss sind in zwei Räumen Arbeiten zum Thema Obdachlosigkeit zu sehen. Anüll knüpft damit an frühere Arbeiten an und verfolgt Fragen, mit denen er sich seit den späten 1980er Jahren beschäftigt. Die Videoprojektion “Gran Via” (2006) zeigt in den Strassen Madrids einen Mann, der alte Kartons fein säuberlich zerlegt und Teile davon in einer Art und Weise so ordentlich aufschichtet, als mache er sich ein Bett für die Nacht zurecht. Unterschiedliche Formen vom Leben auf der Strasse zeigen auch Videoarbeiten der Serie “Grande Rue” (2009). Sie werden im grossen Saal auf federleichte Daunendecken projiziert und wecken die Assoziation an ein Schlaflager. Mit dem Thema der Notschlafstelle hat sich Anüll neben dem der Obdachlosigkeit immer wieder künstlerisch auseinandergesetzt und verschiedene Umsetzungen dieses Komplexes ziehen sich entsprechend durch sein Werk.

Der Ausstellungsrundgang endet im letzten Saal mit Teilen von Anülls Sammlung von Künstlerschallplatten. Hier befindet sich auch die Arbeit “World Music”, eine im LP-Format gehaltene Arbeit, die hinter unbehandelter Baumwolle für akustische Überraschungen sorgt: Ein Potpourri aus unterschiedlichsten Sounds von Punk bis Klassik, durchmischt mit Alltags- und Naturgeräuschen.

Zur Ausstellung erscheint das Buch “Ian Anüll: Rien ne va plus” mit zahlreichen Abbildungen, sowie Texten zu Arbeiten des Künstlers von Huang Qi, Nils Röller, Rolf Winnewisser und Andreas Vogel. Gestaltet wurde das Buch von Georg Rutishauser, den Vertrieb übernimmt die edition fink, Verlag für zeitgenössische Kunst, Zürich.

Source: like you – the art network

This Text in:

Helmhaus Zurich

Limmatquai 31
8001 Zurich
Phone:

+41 44 251 61 77

Exhibition
5 February 2010 – 5 April 2010
Online since 3 February 2010
Opening Hours:
Di-So 10 – 18 Uhr Do 10 – 20 Uhr