Lektüre: Ikonen des Gesetzes – Jan Kuhlbrodt in den Signaturen

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Lektüre in den Signaturen

Jan Kuhlbrodt: Aus der Wüste
Ich hatte im Januar begonnen, ein Buch des italienischen Philosophen Massimo Cacciari zu lesen, das gerade in einer Übersetzung von Nils Röller im Wilhelm Fink Verlag erschienen war. IKONEN DES GESETZES. Cacciari lebt und lehrt in Venedig und war sogar eine Zeitlang Bürgermeister der Lagunenstadt. Zudem war er mit dem Komponisten Luigi Nono eng befreundet. Dass die Verbindung von Philosophie und zeitgenössischer Musik eine fruchtbare sein kann, wissen wir nicht erst seit Adorno und dessen Analysen zu neuer Musik und seiner Verbindung zur Neuen Wiener Schule. Das Buch Cacciaris kulminiert dann auch in einer Interpretation von und Auseinandersetumg mit Schoenbergs Opernfragment „Moses und Aaron“. Der Blick auf die gegenseitige Verwiesenheit der titelgebenden Figuren, und das damit zusammenhängende Moment des Nie-ganz-bei-sich-Seins rücken hier ins Zentrum. Ich gebe zu, es handelt sich nicht um Text, den man gerade mal so wegliest. Aber was wären Lektüren ohne Widerstände? Aus Lektüren erwachsen Lektüren. So bilden sich neben dem Buch und um das Buch herum, das gerade das Zentrum ist, kleine Stapel von Folgetexten. Und vielleicht ist es das, was Lesen für mich ausmacht, ein lustvolles sich Verirren in einer unabschließbaren Welt.
Ikonen des Gesetzes beginnt mit einer Meditation zu Franz Rosenzweigs „Stern der Erlösung“, und auf Seite 11 findet sich folgende Passage: „Erzählende Philosophie“ ist ein Zitat von Schelling. Hier finden wir den anderen konstitutiven Moment jenes paradoxen, philosophischen Systems, das der Stern sein wollte, den romantischen Moment, der in einem Sinn wiederbelebt worden ist, der ihn strikt vom idealistischen Flussbett unterscheidet. Zur Zeit der Abfassung seines Buches erklärte sich Rosenzweig bereits als Anti-Hegelianer und bemerkenswerter Weise als Schellingianer. Aber dieser Einfluss besonders der Weltalter, betrifft den Dreh- und Angelpunkt des neuen Denkens: Das Verhältnis zwischen Voraussetzung und erzählender Philosophie.”
Hier bei Cacciari kommt einiges zusammen, denn er klopft belletristische Texte auf ihren philosophischen und religiösen Gehalt ab. Das Buch bildet z.B. eine faszinierende Engführung von Rosenzweig, den ich endlich lese, Freud, den ich lange nicht gelesen habe, und Kafka, den ich eigentlich immer lese: „Das, was die Sprache gegeben hat (die heilige und unzerstörbare bei Rosenzweig), offenbart sich als Figur des Schweigens – das Schweigen steht in der Identität jener Sprache, es ist deshalb nicht das alleinige Schweigen der Antwort, sondern die Dimension des Fragens – ein Halt im Fortschreiten.“ Es ist immer wieder die Wüste, die einen eigentümlichen Topos bildet. Nicht nur bei Cacciari und den von ihm herangeführten Autoren. Man kann sie auch bei Nietzsche finden, und auch hier mit einem verstörendem Heimatbezug. Und vielleicht liegt es an der Stille, die die Wüste zumindest in meiner Vorstellung ausmacht. Im Nachwort von Nils Röller folgende Passage: „Ein Schlüsselbegriff in der Zusammenarbeit des Komponisten (Nono) mit dem Philosophen ist Stille. Es ist eine Stille, die anruft, tragisch-schmerzhaft erklingt, und ein Fehlen, ein Nicht-Zufriedensein mit der Welt ausdrückt und damit klar zu unterscheiden ist von der Stille in den Werken von John Cage. Dort wird Stille kompositorisch als eine Öffnung aufgefasst für die Umgebung und den Reichtum dessen, was gegeben und anwesend ist.“