BOLDINO XXVIII: NILS RÖLLER

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BOLDINO XXVIII: NILS RÖLLER
Sitzplatz: Landsitz
Boldino pulsiert als Name, als Ort, als Flecken. Zunächst weckt der Name die verlockende Hoffnung eines schützenden Ortes verbunden mit der beeindruckenden Vorstellung, dass selbst ein Exil schön sein könnte. Nachrichten aus Städten und Gebieten, in denen die Corona-Epidemie dezidiert und rücksichtslos gegenüber den Armen bekämpft wird, rücken die Suggestion in eine blaue romantische Ferne. Sobald Nachrichten aus Indien eintreffen, denke ich an mir bekannte Gedichte aus dem Subkontinent. Seit 2008 sind das vor allem Gedichte von Sampurna Chattarji und seit 2018 auch Gedichte von Joy Goswami, die Sampurna aus dem Bengalischen in das Englische übersetzt. Der erste Band mit Übersetzungen beginnt mit diesem Gedicht: 
 
Präludium
 
Ein unermessliches Gedicht ist’s, sein Wurzel-Rhythmus Baum.
Opferblut auf seinen Blättern, selbst ist es auch Blatt.
Es ist ein mächtiger Tanz, seine Wurzel ist die gross-trocken 
Ausgestreckte Hand der Erde unter unseren Füssen.
 
Das Gedicht besteht aus so vielen Meeren, ein erstes Antlitz Wasser.
Saugend aus niederen Tiefen hebt es Berge – 
Je wilder die Ausdehnung – desto mehr wird’s zum Flug 
Streifender Herden – desto mehr verliert es die Hirten der Schafe.
 
Ein unendliches Mass ist’s, sein Wurzel-Baum Tanz.
Gerade du Baum bist Asche in so vielen Wäldern 
Ich jage der Asche nach – ich fasse sie – ich zerbreche dieses Gedicht
Und finde das wirbelnde Atom!
 
[Gruss an Niels Bohr, 1913] [1]
Gegenwärtig wird mit diesem Gedicht ein konkreter Ort in Indien. Der Ort heisst Sanskriti Kendra. Reisende aus Europa erreichen ihn oft spätnachts nach der Ankunft am Flughafen in Neu Delhi. An einem monströs wirkenden Eisentor flackern dann Feuer von Wachmännern, die ihre Köpfe mit struppigen Schals gegen die Kälte schützen. Tagsüber erscheint der Ort in dunstig warmen Licht, Pfauen stolzieren zwischen Terracotta-Statuen, in Teichen blühen Seerosen, zuweilen jagen Affen über Grasflächen und stürmen dann über Blumenhecken in die umgebenden Bäume. Sanskriti Kendra ist ein Areal mit drei Museen (Textilkunst/Teppich, Terracotta-Skulpturen, Alltagsgegenstände), Veranstaltungsräumen und Studios für Künstlerinnen. Es ist das Werk von O.P. Jain. Bei der Eröffnung des Areals pflanzte er einen Banyan-Baum, einen Luftwurzler.
O.P. Jain, Foto von Chandrika Grover 

2018 besuchte ich O.P. Jain erneut. Dabei sprachen wir auch über Gandhi, dem er als kleiner, wissbegieriger Junge begegnet war. O.P. Jain erwähnt dabei lächelnd, dass sich Gandhi für einen Moment auf seine Schulter gestützt habe: „Those touch you never forget“. Es war vielleicht diese Berührung, die den später sehr erfolgreichen Geschäftsmann Jain veranlasste, Friedensbemühungen und vor allem Gespräche zwischen Politikern im Kashmir-Konflikt zu unterstützen und dann, im höheren Alter, sich für Museen und Kunst einzusetzen. Auf dem Fleck Erde mit dem Namen Sanskriti Kendra haben Barbara Ellmerer und ich Freundschaft mit Sampurna Chattarji geschlossen, die seitdem in unserem Journal für Kunst, Sex und Mathematik veröffentlicht. Mit ihren Zeilen reagiert sie auf die Bilder, die die Künstlerinnen im Blog des Journals posten. Die folgenden Worte Sampurnas antworten auf die Zeichnung Reproduktion/Chaotische Käfer, die Barbara Ellmerer zuvor im Journal gepostet hatte:
Wortgeburt
 
Ballett Schmetterling Fallschirm aus dem Wasser singen
Vulva Süsskartoffel Schwamm wundern über Schmerz
Erdbeeren Scheide Ballkleid irgendwo scheint Schönheit möglich
Penis Frühling Zwiebeln in Sommern so heiss, dass es schwer wird, an Frühling zu denken
Hand, Ferse Blutegel Slipper Blatt berstend in blutiger Erinnerung
U-Boot Gasmakse Wegschnecke ist Überleben möglich?
Schlange Spritze Teebeutel gehen langsam, mein Herz trinkt tief
Drache Widder Vogel winden sich in der Kalligraphie von Feuer [2]

Barbara Ellmerer, Reproduction/Chaotic Beetles, 2009, Aquarell auf Papier, 28,5 x 41 cm
Zuletzt, im Oktober 2020, antwortete Sampurna auf einen Post von Judith Albert:
 
Haut berühren
heisst
Draht 
als das zu zeigen, was er ist –
ein schmaler Anspruch
 
Fluoreszieren
  der sterblichen Spule
 
der Hand, die mutig ist,
 
den Brand in fassbare Gefahr
zu wickeln [3]
Judith Albert, Studie zu Space, 2011
 
 
Zwischen 2008 und 2020 sind 125 Beiträge von Sampurna im Journal erschienen. Sie rufen auch die Erinnerung an ein vielsprachiges Indien mit seinen drastischen sozialen Abständen auf. Sie färben die Vorstellung von Boldino ein. In der Corona-Zeit wird die Beschäftigung mit Idyllen zu einem Imperativ, die Gegensätze und Spannungen wahrzunehmen, die alsbald jeden erreichen können, der kein Boldino findet.
Gedichtbände von tamilischen Frauen, die in der Buchreihe Harperperennial erscheinen, bestärken diesen Imperativ, Boldino unter dem Aspekt zu denken, dass es auch ein Boldino ohne Land geben kann, dass Gedichte geschrieben werden können, auch wenn kaum Hoffnung besteht, auch dann, wenn die Frauen, die Gedichte schreiben, deswegen verfolgt werden. Boldino pulsiert in diesen Tönungen und wird eine Fragestellung. Sie setzt an bei Zaun und Tor, die eine Zone vor der Aussenwelt schützen. Die Erfahrung in Indien ergibt Folgendes: Sanskriti Kendra konnte nur betreten und verlassen, wer das schwere Tor passierte. Es war die Barriere zwischen den Taxifahren und Chauffeuren, die vor dem Tor warten mussten. 2008 – als Barbara und ich während ihrer Residency im Sanskriti wohnten – war es nicht üblich, dass die Gäste das Tor für einen Fussweg hin in die Umgebung passierten. Taxis und die Autos von Freunden waren die Vehikel für den Transfer vom Tor in die Welt ausserhalb, die 2008 durch eine Phase von Attentaten, zunächst im nahegelegenen Mehrauli-Markt und dann das Attentat von Mumbai, bei dem Bekannte zu den Opfern zählten, geprägt wurde. Sie führte zu einer „Kapselstimmung“, in der Aufenthaltsorte und ebenso die Verkehrsmittel zu diesen Orten unter dem Aspekt der Sicherheit gewählt und beargwöhnt wurden. 
Diese Stimmung lebt mit Boldino wieder auf. Einen Rand der geschützten privilegierten Zone säumen die Schutzmassnahmen vor Covid 19. Sie führen dazu, dass Menschen in der Umgebung generell beargwöhnt werden und zu potentiellen Gefährdern werden. Die privaten vier Wände werden zur Sicherheitszone aufgewertet und verwandeln sich plötzlich in Zonen der Ansteckung. 
Sampurnas Reaktionen auf die Posts von Barbara Ellmerer und Judith Albert führen hier weiter, und zwar zu den Fragen: Wie sich etwas zu etwas Anderem verhält? Eine Setzung zu einer anderen? Worte zu Farben und Linien? Oder ein Ort wie Sanskriti Kendra oder Boldino zu seiner Umgebung, zu dem, was an den Ort grenzt, von ihm getrennt ist? Eine Grenze kann als Mauer oder Zaun errichtet werden oder als Linie, die einen Unterschied markiert, wie ein Fluss oder Zaun mit Toren. Mit der Grenze wird so die Möglichkeit des Transfers oder des Austausches einbezogen. Die Worte, die Sampurna im Journal findet, haben die besondere Qualität, dass sie nach Ergänzung oder Austausch mit dem Bild verlangen, das ihnen vorausgegangen ist. Insofern gleichen sie der chinesischen Mauer, an deren Bau Kafka erinnert. Sie soll lückenhaft geplant worden sein. 
Granulat-Fussboden im Tram der Cobra-Generation (Zürcher Verkehrsbetriebe), Foto Nils Röller
Dieses Gleichnis hat mich im Alpentram begleitet, das 2021 im Klever-Verlag Wien erscheint (siehe auch: „LiterarischesSelbstgespräch“, in Fixpoetry 18.6. 2020). Dabei verstehe ich das Tram, die Strassenbahn in Zürich, als „Vehikel der Welterfahrung“, als beweglichen Sitz auf fremden Grund und Boden. Fremder Grund und Boden, der nicht wie der Landsitz Boldino der Familie Puschkin gehört oder das Sanskriti Kendra O.P. Jain, sondern ein öffentlicher Raum ist, der mit Mitteln der öffentlichen Hand bewegt wird, ein Raum, in dem ein Fahrgast für eine beschränkte Zeit einen Sitzplatz findet. Wie die Strassenbahn zwischen den Endhaltestellen zirkuliert, so bewegt sich das Alpentram mit Gedichten zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen historischen Idyllen, in denen Freiheit gelebt wird, und der Diaspora, die die indische Dichterin Bhanu Kapil thematisiert. Bei der Recherche nach ihm gewann Albrecht von Haller Kontur. Er verfasste das Gedicht Die Alpen in „Nebenstunden“. Zeit für Dichtung aufzuwenden, war für ihn schwierig, ethisch nicht vertretbar, da er seine Arbeitsleistung für den Fortschritt in den Naturwissenschaften, insbesondere der Medizin, reservieren wollte. Das bedeutete auch Kommunikation innerhalb der Gelehrtenwelt und die Ausbildung von Zeichnern und Kupferstechern, die verlässlich über die Anatomie informieren. 
Albrecht von Haller, Icones anatomicae (Göttingen: Vandenhoek, 1743-1756) Institut für Medizingeschichte der Uni Bern
Trotz des Engagements für den wissenschaftlichen Fortschritt arbeitete Haller wiederholt und beharrlich an Auflagen seiner Gedichte, deren Varianten er minutiös in einem Apparat von Lesarten notierte. Die Spannung zwischen Wissenschaft und Dichtung bewegt das Alpentram.
Albrecht von Haller, Gedichte (siebte Auflage, Zürich: Heidegger, 1758)
An den Haltestellen unterbricht das Tram die Fahrt, der Blick richtet sich vom Fussboden oder vom Buch oder vom Smartphone unwillkürlich zu den Türen. Er registriert, wer das Fahrzeug verlässt oder eintritt. Das führt zu der Frage des Zeitmanagements. Es ist eine Boldino-Frage. Der Aufenthalt in einem Gebiet der Aufmerksamkeit wird unterbrochen, Gedanken und Gefühle schweifen ab, wandern in andere Gebiete, folgen der Kleidung, den Gesten der Fahrgäste und geraten dann wieder auf dem Fussboden des Trams. Er ist dicht gesprenkelt und hält dennoch nicht den Blick. Er lenkt ab und das führt zu der Auffassung, dass ein Gedicht, eine Zeichnung oder ein Ort wie Sanskriti oder Boldino Lücken zulassen und dennoch kompakt sind, damit die Gedanken zu ihnen gern zurückkehren.

Nils Röller

[1] Joy Goswami, Prelude, in: Selected Poems, translated from the Bengali by Sampurna Chattarji (Noida: Harperperennial, 2014, deutsch von Nils Röller), 3

[2] Sampurna Chattarji, Birth of a word, https://www.journalfuerkunstsexundmathematik.ch/2009/04/06/sampurna-chattarji-for-barbara-ellmerer/, deutsch von Nils Röller

[3] Sampurna Chattarji, On Judith Albert, https://www.journalfuerkunstsexundmathematik.ch/2020/08/31/18130/, deutsch von Nils Röller
Nils Röller unterrichtet Philosophie an der Zürcher Hochschule der Künste. Er forscht zum Verhältnis von Text, Bild und Philosophie  (Iconography of Philosophy). 2021 erscheint Alpentram (Wien: Klever, 2021).
Literatur

Joy Goswami, Selected Poems, translated from the Bengali by Sampurna Chattarji (Noida: Harperperennial, 2018)
 
Albrecht von Haller, Versuch Schweizerischer Gedichte (Elfte Auflage, Reprint Zürich: Olms, 2006)
 
Bhanu Kapil, BAN EN BANLIEU (New York: Nightboat Books, 2015/16). Dank an Mohamed Musibli, der diesen Text in einem Seminar zur Summer School Johannisburg/New Delhi vorgestellt hat

Astrid Nischkauer „Literarisches Selbstgespräch von und mit Nils Röller“ in Fixpoetry 18.6. 2020 
Links

Sanskriti Foundation

Journal für Kunst, Sex und Mathematik – Barbara Ellmerer

Journal für Kunst, Sex und Mathematik – Judith Albert

Iconography of Philosophy
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A-1010 Wien
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Nils Röller – Roth the Great (Talk MFA/Marie-France Raphael)

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“I am led by the hand.

Trust that,

it leads straight ahead,

where I already am.”

[Roth leaves Central Station in Zurich, he will meet collectors at the Kronenhalle, he walks to the Central, where the street is repaired. He asks the workers to give him the chance to try something out with sand]

This is what Roth says to himself inwardly as he walks on the sand.

He falters because he remembers that he had done things differently back then.

Now he wants something rhythmic, at that time he was concerned with pressure, capitalization, doubling and tripling, small imperceptible shifts from there to therst, from hand to handh, which caused that tingling sensation that could turn into a knee-jerking, if he held it out long enough, the jumping back and forth between the desire for words and the writing tool.

Translated with www.DeepL.com/Translator (free version)

So quickly, Roth, conjugate at least the second verse:

“You are led by the hand

Trust that,

It leads straight path therst,

Where you already are.”

And then let’s get out of here, put in another handful of sand and then greet the workers, really nice people. You are led by the hand, or better you should say: the lack of time of the alarm clocks and wristwatches or today the amount of time leads you to the Kronenhalle at the end of the Niederdorf. Trust the Roth who guides you, you suspicious puff-puff tree [Plunderbaum], you can trust what comes from you, Roth.

Translated with www.DeepL.com/Translator (free version)

That’s the way it goes, Roth! The way Roth goes:

You guide you

Not always straight,

Instead, you returne therst,

Where you have been.

Cancer, that is also again a form to set words: forward, sideways and backward or something. I, you, you, me, me, me, you, you, me, he could stamp in the sand, pour concrete over it and exhibit it as a rhyme relief. There the conjugations of the past come to life again. Why not try something new, really new: Finally approach Petrarch? Maybe ask Rühm, or especially Wiener, Oswald Wiener? Give Wiener another chance, maybe that would be better for you, too, although: Wiener would know everything better once again, you know that, Roth. How disgusting he called you “on a first-name basis” in his heap of partially digested things (Teilverdautes). Then he wrote about you, Roth, as a “he”: “poor he was”, that is, you yourself, Roth, appeared “with a suitcase full of unsaleable art”, so that he had a hard time having a complicated perception of him, that is, of you, Roth. Then Oswald had fallen for the rotten you.

Translated with www.DeepL.com/Translator (free version)

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[Seeing a book, buying it, then Roth rests at the Cafe Zähringer, a historical place. From there Lenin departed for the October Revolution, Roths form of writing and speaking (Collected Interviews) became dynamic, worked inside, became active]

There is something else in Gautschi’s book about Lenin that Roth enjoys. That makes him lose his envy, his jealousy of followers, institute and collected works in the languages of the world. Roth is not a projectile of history, but one on which the projectiles arrive, that others are shooting at him like just the Gautschi with his Lenin in Switzerland. They can still fire from history in Roth’s time, who did nothing to them, who is nevertheless hit by their words. Roth weighs a projectile sentence carefully, can stalk him before it causes inside any damage. Gautschi got this sentence from Lenin, he probably got it from Clausewitz and he probably got it from Napoleon. He was a small man, small like Lenin and not round and full of holes like the sweaty Swiss cheese Roth, who had already been riddled with holes by the projectiles of others, by the mother radios and folk radio stations.

Roth does not, of course, tell everyone which sentence he is lurking at because it seems to be helpful, not at all silly to think about. After all, he is not a truth-giver and seducer of the people. Nor does Roth write it in his diary. Roth keeps the most important things secret. It could be that they take possession of his diaries. Then he has nothing more, and the others take over his weapons. Then he can no longer defend himself. Maybe he’ll smuggle the sentence into the title for his latest stuff today. He can also do it here warning them dozens of times, telling them off in the style of Lenin:

I’ll tell you something,

You, who are sitting here in the cafe,

You, who are here drinking and feeding yourselves,

I would advise you,

I would like to share a secret with you,

I will not seduce you.

You will lead you,

Lead you from the mouth

In the hand,

A life that could not be better,

Because it is bad and will remain bad.

Yes, rebellion is an art,

But knowing that is of no use to you.

Because Roth tells you:

You are not artists.

Roth is not an artist either.

For no man is an artist, Roth tells you this,

But that will not help you.

Nothing is of any use at all.

No uprising is of any use.

There’s no art in knowing that,

When there are no artists who could make a fuss.

Why do I tell you this?

Out of pity.

Because I am an expert in ethics, like all those who call themselves artists or are called so. The idiots who are experts in insurrectionist-revolutionary questions, they have to tell you something like I am telling you? Why?

That’s what Roth, the one who is affected on all sides, who has always been affected by words, tells you.

Roth tells you why you are always being told something.

You are told so that something is said.

Something has to be said because the saying-speaking machine is running.

The machine that makes opposites and shoots at people,

It always runs.

No one, not even an artist,

No one who does not exist can exhibit them.

No one who does not exist, but someone, can exhibit them.

There you hear what the language does.

And because it always does something like that,

So nobody is playing games with nobody,

That is why it is always necessary to speak.

But what, Roth, is special about those who call themselves artists

Or be called that?

There is nothing special about them.

That’s why nobody is an artist, because nobody is one.

What about him, the Roth, who tells you this?

He has money, earns it with what is called art.

This Roth says nothing to you now and yet he answers.

Roth, the workman, the chamberlain of the wretch of himself [Kämmerer des Kümmerlings seiner selbst], this Roth,

Although not hereditary nobleman, not lawyer, not cyclist, not swimmer,

Mountaineer especially not because they are too high for him,

Mushroom picker anyway not, because they are too low for him,

This Roth, Roth’s son, Rothsohn’s Roths Rothsohn, answers with a round for everybody.

This Roth spends one, lets the waiters bring drinks that the tables bend. Roth himself will go from table to table with the bottles and pour them. Roth gives away money immediately. He has done that many times before. He puts it in his pocket and gives away hundreds, thousands. To his children anyway, to friends, to waiters, why not now to others, to everyone?

Why not now, Roth?

Roth will tell you, but unfortunately he has to keep the saying-speaking machine, the saga and typewriter running.

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“I am led by the hand.

Trust that,

it leads straight ahead,

where I already am.”

Oswald Wiener: Der Stand der Denktheorie. Symposium. Mürzzuschlag (29.10.-1.11.2020)

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Symposion und Literaturfest

by Thomas Eder

29.10. – 1.11.2020

kunsthaus muerz, Wiener Straße 56, 8680 Mürzzuschlag

Konzept: Thomas Eder

Aus der Kunst kommend und notgedrungen zum Forscher geworden, hat Oswald Wiener seit seinen Anfängen als Dichter den Weg zum Verständnis und zur Beschreibung des menschlichen Denkens gesucht. Seine Denktheorie ist in den letzten fünfzig Jahren auf der Basis von Selbstbeobachtung entstanden, so unterschiedliche und scheinbar überschnittfreie Gegenstandsbereiche wie die Dichtung und die Automatentheorie sind ihm dabei Ausgangs- und Absetzungspunkte seiner eigenen Denktheorie gewesen. Daraus resultiert Wieners doppelt exzentrisch scheinender Ansatz, künstlerische Forschung nicht als Gegensatz zur diskursiven Wissenschaft zu begreifen oder die Informatik mit der Selbstbeobachtung zu verbinden.

Zum 85. Geburtstag Oswald Wieners soll bei dem Symposion der Stand der Denktheorie durch die Beiträge von Forschenden aus seinem Umfeld dargestellt werden. Zudem werden Freunde und Wegbegleiter Kurzvorträge zu ihrem Verhältnis zu Person und Werk Oswald Wieners halten. Den Hauptvortrag zum Stand seiner Denktheorie hält Oswald Wiener.

Programm


Donnerstag, 29.10.2020

kunsthaus muerz, webernsaal

18.00 Uhr

Begrüßung

Eröffnungsvortrag Oswald Wiener (Kapfenstein): Stand der Überlegung


Freitag, 30.10.2020

kunsthaus muerz, webernsaal

10.30 – 13.00 Uhr

Nicola Cipani: Das Gegenteil eines Blitzes (Vortrag)

Thomas Eder: Hölderlin-Selbstbeobachtung (Vortrag)

Franz Josef Czernin: One or two Cultures? (Kurzvortrag)

15.00 – 18.00 Uhr

Michael Schwarz: Kognitive Zeichen und Netzwerke – Probleme der Implementation (Vortrag)

Thomas Raab: Versuch über die Erinnerung. Was liefert das Vorbewusste? (Vortrag)

Cornell Schreiber und Thomas Raab: Gesprächüber “Erinnerung – Embodiment – Elbstbeobachtung”

František Lesák: Die erwiderte oder verschmähte Liebe zur Geometrie (Kurzvortrag)

18.30-20.00

Johannes Ullmaier: Too late, too little? Wann sieht wer oder was beim Selbstbeobachten wen oder was? (Vortrag)

Walter Fähndrich: Soup imiliti biükjtry sop!(Kurzvortrag)


Samstag, 31.10.2020

kunsthaus muerz, webernsaal

10.00 – 13.00 Uhr

Stefan Schneider: Körperwahrnehmung in Somatischer Körperarbeit (Vortrag)

Benjamin Angerer: Krokodile höherer Ordnung: Die Rolle von Metaphern im Auffassen komplexer Gegenstände (Vortrag)

Rolf Winnewisser: WELLENZEILEN (Kurzvortrag und Film)

Rosa Barba: The Color Out of Space (Kurzvortrag)

15.00 – 17.00 Uhr

Tanja Gesell: Gewebedegeneration. Re-Dekodierung von Strukturen (Vortrag)
Nils Röller: Indienfahrer (Kurzvortrag)
Ernst-Wilhelm Händler: Literatur und Wissenschaft (Kurzvortrag)

Sonntag, 1.11.2020

10.00 – 12.00 Uhr

Runder Tisch


Kontakt: thomas.eder@univie.ac.at

Normalität – & keineswegs eine »neue« – in der IDIOME-Redaktion: Heft 13 ist planmäßig erschienen!

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112 Seiten, brosch.
ISBN 978-3-903110-57-1
12.- €

gegen den strich nennt Urs Jaeggi eine neue Textsammlung, aus der im neuen Heft Auszüge zu lesen sind und wo es auch heißt: »es gab und gibt uns. es ga?be uns nicht wenn der zufall es anders gewollt ha?tte. es gibt uns als nichtchima?ren als eingebildete als existierende arbeitende oder arbeitslose als armreiche und reicharme usw. als auf der flucht befindliche geba?rende als ba?nker proleten rat- und orientierungslose, versoffene politiker, als ausgewiesene«.

Ein Werkstattgespräch mit Jürgen Link erörtert die Aktualität Friedrich Hölderlins, während Friederike Kretzen sich mit der räuberischen Poetik Robert Walsers beschäftigt und Mathias Traxler sich Eugenio Montale zuwendet. Wolfram Malte Fues wiederum nimmt das »Erzählen im digitalen Zeitalter« in den Blick, und Erhan Altan denkt über sein Übersetzer-Dasein zwischen der österreichischen und der türkischen Literatur nach.

Heft 13 enthält außerdem Texte des jüngst verstorbenen Hermann J. Hendrich sowie von Peter Enzinger, Marlene Hachmeister, Johannes Jansen, Philipp Kampa, Margret Kreidl, Mariusz Lata, Thomas Raab, Nils Röller, Stefan Schweiger, Dieter Sperl, Christian Steinbacher, Richard Wall & Peter Walther – außerdem Photos von Walter Ebenhofer & Fritz Lichtenauer.

www.klever-verlag.com

www.facebook.com/idiome.neueprosa

IDIOME Hefte für Neue Prosa
Redaktion Berlin: c/o Florian Neuner, Lübecker Str. 3, D 10559 Berlin Redaktion Wien: Klever Verlag, Hochstetterg. 4/1, A 1020 Wien

Lektüre: Ikonen des Gesetzes – Jan Kuhlbrodt in den Signaturen

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Lektüre in den Signaturen

Jan Kuhlbrodt: Aus der Wüste
Ich hatte im Januar begonnen, ein Buch des italienischen Philosophen Massimo Cacciari zu lesen, das gerade in einer Übersetzung von Nils Röller im Wilhelm Fink Verlag erschienen war. IKONEN DES GESETZES. Cacciari lebt und lehrt in Venedig und war sogar eine Zeitlang Bürgermeister der Lagunenstadt. Zudem war er mit dem Komponisten Luigi Nono eng befreundet. Dass die Verbindung von Philosophie und zeitgenössischer Musik eine fruchtbare sein kann, wissen wir nicht erst seit Adorno und dessen Analysen zu neuer Musik und seiner Verbindung zur Neuen Wiener Schule. Das Buch Cacciaris kulminiert dann auch in einer Interpretation von und Auseinandersetumg mit Schoenbergs Opernfragment „Moses und Aaron“. Der Blick auf die gegenseitige Verwiesenheit der titelgebenden Figuren, und das damit zusammenhängende Moment des Nie-ganz-bei-sich-Seins rücken hier ins Zentrum. Ich gebe zu, es handelt sich nicht um Text, den man gerade mal so wegliest. Aber was wären Lektüren ohne Widerstände? Aus Lektüren erwachsen Lektüren. So bilden sich neben dem Buch und um das Buch herum, das gerade das Zentrum ist, kleine Stapel von Folgetexten. Und vielleicht ist es das, was Lesen für mich ausmacht, ein lustvolles sich Verirren in einer unabschließbaren Welt.
Ikonen des Gesetzes beginnt mit einer Meditation zu Franz Rosenzweigs „Stern der Erlösung“, und auf Seite 11 findet sich folgende Passage: „Erzählende Philosophie“ ist ein Zitat von Schelling. Hier finden wir den anderen konstitutiven Moment jenes paradoxen, philosophischen Systems, das der Stern sein wollte, den romantischen Moment, der in einem Sinn wiederbelebt worden ist, der ihn strikt vom idealistischen Flussbett unterscheidet. Zur Zeit der Abfassung seines Buches erklärte sich Rosenzweig bereits als Anti-Hegelianer und bemerkenswerter Weise als Schellingianer. Aber dieser Einfluss besonders der Weltalter, betrifft den Dreh- und Angelpunkt des neuen Denkens: Das Verhältnis zwischen Voraussetzung und erzählender Philosophie.”
Hier bei Cacciari kommt einiges zusammen, denn er klopft belletristische Texte auf ihren philosophischen und religiösen Gehalt ab. Das Buch bildet z.B. eine faszinierende Engführung von Rosenzweig, den ich endlich lese, Freud, den ich lange nicht gelesen habe, und Kafka, den ich eigentlich immer lese: „Das, was die Sprache gegeben hat (die heilige und unzerstörbare bei Rosenzweig), offenbart sich als Figur des Schweigens – das Schweigen steht in der Identität jener Sprache, es ist deshalb nicht das alleinige Schweigen der Antwort, sondern die Dimension des Fragens – ein Halt im Fortschreiten.“ Es ist immer wieder die Wüste, die einen eigentümlichen Topos bildet. Nicht nur bei Cacciari und den von ihm herangeführten Autoren. Man kann sie auch bei Nietzsche finden, und auch hier mit einem verstörendem Heimatbezug. Und vielleicht liegt es an der Stille, die die Wüste zumindest in meiner Vorstellung ausmacht. Im Nachwort von Nils Röller folgende Passage: „Ein Schlüsselbegriff in der Zusammenarbeit des Komponisten (Nono) mit dem Philosophen ist Stille. Es ist eine Stille, die anruft, tragisch-schmerzhaft erklingt, und ein Fehlen, ein Nicht-Zufriedensein mit der Welt ausdrückt und damit klar zu unterscheiden ist von der Stille in den Werken von John Cage. Dort wird Stille kompositorisch als eine Öffnung aufgefasst für die Umgebung und den Reichtum dessen, was gegeben und anwesend ist.“

 
 

Ikonen des Gesetzes

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Ikonen des Gesetzes
Aus dem Italienischen und mit einem Nachwort versehen von Nils Röller

1. Aufl. 2018, VIII + 285 Seiten, Festeinband
ISBN: 978-3-7705-6379-1

EUR 99.00 / CHF 117.80

Die Ikonen des Gesetzes fokussieren die Frage, wie absolut Mögliches ausgedrückt werden kann. Dazu werden Parallelen zwischen der bildenden Kunst, der Literatur, der Philosophie und der modernen Mathematik analysiert. Das Buch ist ein Schlüssel zum philosophischen Werk von Cacciari. Es ist lesbar als eine Ästhetik, die Cacciari mit dem Komponisten Luigi Nono erschlossen hat. Ihr gemeinsames Programm zielt auf die Sprengung des Kontinuums von Raum und Zeit, auf die Möglichkeit, die radikale Veränderung denkbar werden lässt.
Das Nachwort orientiert über das philosophische Werk Cacciaris und dessen fragmentarische Rezeption in deutschen Übersetzungen.